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Die Kanzlerin vor dem Kongress: Großartig und ein bisschen zu glatt

Von Joscha Schmierer

Wenn die erste deutsche Bundeskanzlerin eingeladen ist, vor dem US-Kongress zum ersten Mal eine Rede zu halten, dann ist das ein Ereignis. Kanzlerin Merkel hat aus dem Ereignis etwas gemacht. Ihre Rede erfüllte die Ansprüche des hochoffiziellen Anlasses und war dennoch von ihrer Person nicht zu trennen. Auch in der einen oder anderen Schwäche war ihre Rede unverwechselbar. Das lässt sich von solchen Reden selten sagen.

Im Rückblick auf die deutsche Geschichte legte sie Elemente von Adenauers Biographie, der eigenen und der Biographie Fritz Sterns übereinander. Adenauer hatte 1957 als einziger deutscher Regierungschef vor den beiden Häusern des Kongresses gesprochen, nacheinander und in nicht ganz so großartigem Rahmen. Mit Adenauer rief Frau Merkel ein Deutschland vor den Nazis, ein Deutschland, gegen das die Nazis waren und das sie doch überlebt hat, in Erinnerung. Aus diesem Deutschland gingen die Gründer der Bundesrepublik hervor. Fritz Stern, der amerikanische Historiker für deutsche Geschichte, ist in Breslau geboren und konnte sich 1938 zusammen mit seinen Eltern gerade noch in die USA retten. Den Verfasser der Five Germanies I have known hat Angela Merkel vor einiger Zeit persönlich kennen gelernt. Er nahm auf ihre Anregung hin an dem Ereignis im Capitol teil. Vermittelt über Adenauer als Vorgänger und Fritz Stern als Bekannten konnte sich Angela Merkel persönlich auf  deutsche Geschichte und Verhältnisse zu den USA beziehen, mit denen sie unmittelbar nichts zu tun hat.

Bevor sie auf ihre Geschichte in der DDR und die befreiende Wirkung der Maueröffnung kam, erinnerte sie an den 9. November 1938 als „Beginn dessen, was später in den Zivilisationsbruch der Shoa mündete“. Fritz Stern hatte, so Angela Merkel, „am eigenen Leib die Schrecken dieses Deutschlands im Nationalsozialismus“ erlebt. Auf das Verfahren, sich Vergangenheiten, zu denen sie keinen persönlichen Bezug hat, über die Lebensläufe von Leuten zu nähern, zu denen sie einen persönlichen Bezug als Vorgänger und Bekannten hat, verzichtete sie merkwürdigerweise für die jüngere Geschichte. Da gibt es einerseits das Mädchen in der DDR, das den American Dream träumt mit den Levis Jeans, welche die Tante aus dem Westen immer wieder schickt. Andererseits spricht Angela Merkel von den Rosinenbombern und Reagans Mauerrede ganz so, als wäre sie vom Westen aus dabei gewesen.

In der Absicht, 2009 als deutsche Kanzlerin den USA für ihre nachhaltige Hilfestellung beim Aufbau der Bundesrepublik zu danken, ist das ganz unproblematisch. Und doch steckt hinter dieser unmittelbaren Aneignung der westlichen Perspektive durch die Frau aus der DDR ein Problem. Ihr hatte sich im November 1989 „da, wo früher eine dunkle Wand war“, plötzlich eine Tür geöffnet, durch die die Physikerin ging, um als Politikerin herauszukommen. Das versteht sie als ihren persönlichen Aufbruch. Während Angela Merkel auf ihre Geschichte in der DDR nur als persönliche, unpolitische Vorgeschichte zu sprechen kommt, spricht sie als Kanzlerin so, als hätte sie immer die westliche Perspektive einnehmen können und eingenommen, so als wäre sie mit Kennedy und Ronald Reagan immer schon auf der westlichen Seite des Brandenburger Tores gestanden. Das aber passt nicht dazu, dass sie ganz ehrlich erzählt, sie sei erst aufgebrochen, als die Tür schon offen stand. Dissidenz war nicht ihr Ding.

Angela Merkel nimmt die Perspektive einer „Gesamtdeutschen“ ein, die politisch nie eine DDR-Sicht eingenommen hatte. Das braucht die Mitglieder des US-Kongresses nicht zu kümmern. Doch ging  in dieser Reflektionslücke ein Dankeschön unter, das für Deutschland aber auch für Europa vielleicht das Wichtigste ist: das Danke für die Befreiung von der Naziherrschaft.

Dafür ist auf doppelte Weise zu danken: Ohne die USA wäre die Anti-Hitler-Allianz wahrscheinlich gescheitert. Sicher aber wäre ohne die USA als eine der Besatzungsmächte die Bundesrepublik als westliche Demokratie so nicht zustande gekommen. Die Amerikaner als Besatzungsmacht unterschieden sich von den europäischen Besatzungsmächten. Von der sowjetischen Besatzungsmacht sowieso, von Großbritannien und Frankreich aber durch ihre Soldaten, die als Bürger in Uniform später zum Vorbild der Bundeswehr werden konnten. Von ihnen haben die Deutschen das Schlendern gelernt. Davon weiß Angela Merkel nichts und für diese Wegscheide Deutschlands auf dem Weg nach Westen hat sie bisher keine Gewährsleute gefunden. So konnte sie ihm Kongress davon auch nichts erzählen. Sie hat nicht mal gemerkt, dass in der Reihe ihrer Danksagungen der entscheidende Punkt fehlte. Sie dankte zwar „den 16 Millionen in Deutschland über die Jahrzehnte stationierten Amerikanern, ohne deren Beistand als Soldaten, als Diplomaten und als Helfer die Überwindung der Teilung Europas  unmöglich gewesen wäre“, vergisst es aber den Blutzoll zu erwähnen, den die USA bringen mussten, um überhaupt nach Deutschland zu kommen. Wie soll man sich diese Lücke anders erklären als so, dass es diese Erinnerung halt nicht gibt in ihrer Sozialisation?

Angela Merkel nennt alle US-Präsidenten mit Namen, die seit Reagan das Amt innehatten, und hat für jeden von ihnen ein Zitat parat. Von den Präsidenten davor erwähnt sie Kennedy, der zwei Jahre nach dem Mauerbau den Berlinern verkündete, dass er einer von ihnen sei. Da war Angela Merkel noch ein Kind, aber hat sie daran keinerlei Erinnerung von jenseits der Mauer? Wie wirkten diese Worte dort? Sind es einfach Zeitprobleme, dass gegenüber den Akteuren, die den Kalten Krieg führten, Roosevelt, Truman oder auch Eisenhower nicht vorkommen in der Dankesbezeugung? Mit diesen Präsidenten muss man sich wirklich zu den USA als Freund bekennen, denn diese Präsidenten erschienen erst mal als Feinde.

Im Kongress ist Angela Merkel gut angekommen mit ihrer Rede. Beim Dank an die USA sowieso, bei der Bekräftigung der außenpolitischen Positionen der Bundesrepublik im Nahost-Konflikt und gegenüber dem iranischen Atomprogramm auch. Klimapolitik und ökonomische Ordnungspolitik fanden ein unterschiedliches Echo.

Angela Merkel ist ein Phänomen. Ihre Akzeptanz im In- und Ausland ist gewaltig. Überlegt man sich, woran das im Inland liegen  könnte, fällt einem das evangelische Pfarrhaus und die Pfarrfamilie ein. Sie haben die deutsche Spaltung überstanden und unterlaufen. Evangelische Pfarrer ließen sich freiwillig in die DDR versetzen. Das Pfarrhaus übernahmen sie. Die Pfarrfamilie brachten sie mit. Egal ob aus einheimischen oder zugezogenen Pfarrfamilien: Die Kinder prägen zu einem guten Teil die Republik. Es gibt sie überall. Eine von ihnen begeisterte gerade den amerikanischen Kongress. Diese Herkunft erlaubt die Vorstellung einer Kontinuität, die es manchmal ein bisschen zu einfach macht.

 

 
 
 

Joscha Schmierer

Jeden Monat kommentiert Joscha Schmierer aktuelle außenpolitische Themen. Der Autor, freier Publizist, war von 1999 – 2007 Mitarbeiter im Planungsstab des Auswärtigen Amts.
 

 

 
 
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